Die Hämotherapierichtlinie regelt den Blutspendeausschluss von Personen mit erhöhtem Risiko von Infektionskrankheiten, das insbesondere bei „sexuellem Risikoverhalten“ vorliegen soll. Die darauf basierende, vielfach kritisierte Regelung zur Zurückstellung von homosexuellen Männern und trans* Personen wurde im September 2021 aktualisiert. Kann die Neuerung dem Anspruch ihrer Herausgeber:innen gerecht werden?
In einer Pressemitteilung vom 24.09.2021 mit der Überschrift „Qualität und Sicherheit von Blut und Blutprodukten gewährleisten / Anschein von Diskriminierung vermeiden“ gab die Bundesärztekammer die Aktualisierung der Hämotherapierichtlinie bekannt.[1] Diese wird auf Basis der §§ 12a, 18 Transfusionsgesetz (TFG) von der Bundesärztekammer gemeinsam mit dem Paul-Ehrlich-Institut herausgegeben und beinhaltet Regelungen über die Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen sowie die Anwendung von Blutprodukten. Dabei geht es, wie der erste der Titel der Pressemitteilung vermuten lässt, in erster Linie um die Gewährleistung der Qualität und Sicherheit von Blut und Blutprodukten. Laut dem Präsidenten der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, war und sei es „ein besonderes Anliegen“ der an der Novellierung der Richtlinie Beteiligten, „jeden Anschein von Diskriminierung zu vermeiden“. Warum die verfassungsrechtliche Pflicht zur diskriminierungsfreien Rechtsanwendung aus Art. 3 Grundgesetz (GG) als „besonderes Anliegen“ hervorgehoben werden muss und was eine „anscheinende“ von einer tatsächlichen Diskriminierung unterscheiden soll, erschließt sich nicht.
Eine Legaldefinition, wann eine Diskriminierung vorliegt, findet sich weder im deutschen noch im europäischen Recht. Die Vorschriften, aus denen sich Diskriminierungsverbote ergeben, sind terminologisch nicht einheitlich gestaltet. So verbietet auf europäischer Ebene Art. 21 Grundrechtecharta (GRC) explizit die Diskriminierung aufgrund bestimmter Kategorisierungen, während nach der Vorschrift des § 7 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) „nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt“ werden darf. Im Grundgesetz ist der Anknüpfungspunkt der Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG, der durch ein Benachteiligungs- bzw. Bevorzugungsverbot in Art. 3 Abs. 3 GG konkretisiert wird. Zwar setzt jede Diskriminierung eine Benachteiligung voraus, nicht jede Benachteiligung ist aber eine Diskriminierung. Darunter versteht man „die Verwendung von kategorialen, das heißt vermeintlich eindeutigen und trennscharfen Unterscheidungen zur Herstellung, Begründung und Rechtfertigung von Ungleichbehandlung mit der Folge gesellschaftlicher Benachteiligungen“ [2].
„Sexuelles Risikoverhalten“ in der alten Fassung der Richtlinie
Ansatzpunkt für eine Diskriminierung in der Hämotherapierichtlinie ist die Vorschrift zur „Exposition mit dem Risiko, eine übertragbare Infektion zu erwerben“, in der ein zeitlich begrenzter Ausschluss von der Blutspende für gewisse Personengruppen geregelt wird. Bei der Novellierung ging es den Herausgeber:innen der Richtlinie insbesondere um Personen mit „sexuellem Risikoverhalten“, welche auch im Fokus dieses Artikels stehen. So hieß es in der alten Fassung der Richtlinie, dass insbesondere „heterosexuelle Personen mit sexuellem Risikoverhalten (z. B. Geschlechtsverkehr mit häufig wechselnden Partnern), Personen, die Sexualverkehr gegen Geld oder andere Leistungen (z. B. Drogen) anbieten (männliche und weibliche Sexarbeiter), Männer, die Sexualverkehr mit Männern haben (MSM), sowie transsexuelle Personen mit sexuellem Risikoverhalten“ für zwölf Monate von der Spende zurückzustellen seien. Nach Sexualverkehr mit einer der vorgenannten Personen betrage die Zurückstellungsfrist vier Monate. [3] Die Aufzählung der Personengruppen mutet schon auf den ersten Blick willkürlich an, indem der Eindruck erzeugt wird, es handele sich bei „Transsexualität“ um eine sexuelle Ausrichtung. Weiterhin bleibt unberücksichtigt, dass Sexualverhalten nur dann zu einem erhöhten Risiko von Infektionskrankheiten führt, wenn es sich nicht um Safer Sex handelt und jenes je nach Art der sexuellen Handlungen auch unterschiedlich ausfällt. So können Infektionsrisiken generell durch die Verwendung von Kondomen verringert werden. Um sich vor einer Infektion mit HIV zu schützen, hilft auch die regelmäßige Einnahme von Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP).
Das Anknüpfen an Verhaltensweisen wie den häufigen Partner:innenwechsel beruht mithin auf der Erwartung, dass damit in der Regel auch ein erhöhtes Risiko ungeschützten Geschlechtsverkehrs einhergeht. Seitens der Richtlinienherausgeber:innen hieß es dazu im Mai 2021, dass epidemiologische Daten zeigten, dass die aufgeführten Verhaltensweisen mit einem hohen Risiko für den Erwerb von transfusionsrelevanten Erregern assoziiert seien, aber keine Bewertung des Sexualverhaltens oder der sexuellen Orientierung im Sinne einer Diskriminierung erfolge. Es sei unstrittig, dass risikobehaftetes Sexualverhalten von Blutspendenden, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung, Auswirkungen auf die Infektionssicherheit der Blutprodukte haben könne.[4] Es wird sich also mit der bloßen Feststellung begnügt, dass keine Diskriminierung vorliege, auch wenn eine bloße „Assoziation“ von bestimmten Verhaltensweisen zu erhöhten Infektionsrisiken eine Ungleichbehandlung nicht zu rechtfertigen vermag, sondern vielmehr gerade die Normierung dieser Verknüpfung diskriminierend ist.
Zurückstellungsfristen zur Gewährleistung sicherer Blutprodukte
Die Sicherstellung, dass durch Blutspenden keine Infektionskrankheiten verbreitet werden, kann durch den generellen Ausschluss von Personen erreicht werden, die ein hohes Übertragungsrisiko aufweisen. Alternativ kann, wie durch die Hämotherapierichtlinie, die Zurückstellung auf einen gewissen Zeitraum nach dem risikobehafteten Verhalten begrenzt sein. Zwar gibt es die Möglichkeit, eine HIV-Infektion im Blut nachzuweisen, nach der Ansteckung dauert es aber einige Zeit, bis Antikörper und Virusbestandteile nachweisbar sind (sog. diagnostisches Fenster). Dieses beträgt je nach Test in der Regel 6-12 Wochen. Der unbefristete Ausschluss von bestimmten Personengruppen ist im Rechtssinne nicht erforderlich, da mildere gleich geeignete Mittel zur Vermeidung von Infektionen zur Verfügung stehen. Soweit an ein sexuelles Risikoverhalten angeknüpft wird, käme eine zeitlich begrenzte Zurückstellung, die nicht übermäßig über den Zeitraum des diagnostischen Fensters hinausgeht, in Betracht.
Die Schwere des Eingriffs würde auch dadurch verringert werden, dass nicht pauschal an bestimmte Personengruppen angeknüpft wird, an die unterschiedliche Verhaltenserwartungen gestellt werden, sondern die Zurückstellung z. B. auf Grundlage einer individuellen Befragung der Spendewilligen erfolgt. Die zeitliche Zurückstellung von Personen mit erhöhtem Risiko von Infektionskrankheiten ist grundsätzlich nicht zu beanstanden. Kritikwürdig ist die Bestimmung des betroffenen Personenkreises.
Anknüpfungspunkt in der Richtlinie ist zwar das „sexuelle Risikoverhalten“, das auch den Beginn der zwölfmonatigen Zurückstellungsfrist markiert, die Norm bezieht sich dazu aber auf Personengruppen, so dass der ereignisabhängige Zeitpunkt des Fristbeginns nicht eindeutig aus ihr hervorgeht.
Diskriminierung von trans* Personen
Weiterhin werden durch die ausdrückliche Aufzählung von „transsexuellen Personen mit sexuellem Risikoverhalten“ diese von der Gruppe der heterosexuellen Personen sowie der der Männer unterschieden. Dabei bleibt zum einen unklar, wie der Begriff der „Transsexualität“ definiert wird, ob also eine körperliche Anpassung des biologischen Geschlechts erfolgt oder ein bestimmtes Stadium der Transition erreicht sein muss und warum es bei trans* Personen nicht auf deren geschlechtliche Identität ankommen soll. Zum anderen offenbaren die Richtliniengeber:innen ihr mangelndes Verständnis von Geschlechtsidentitäten, indem sie davon ausgehen, dass „transsexuelle Personen“ von heterosexuellen Personen abzugrenzen seien. Der Begriff der „Transsexualität“ sagt, unabhängig von dessen Unschärfe, jedenfalls nichts über die sexuelle Ausrichtung einer Person aus. Trans* Personen sind Personen, deren Geschlechtsidentität nicht mit dem bei der Geburt eingetragenen Geschlecht übereinstimmt.
Die explizite Aufzählung von „transsexuellen Personen mit sexuellem Risikoverhalten“ ist nicht nur begrifflich ungenau und systematisch inkonsequent. Sie beruht auf einer Stigmatisierung von Personen, die sich nicht in das binäre, auf einem biologischen Verständnis beruhende Geschlechtersystem einordnen lassen und stellt eine Diskriminierung aufgrund der geschlechtlichen Identität dar.
Davon ist die „sexuelle Identität“ bzw. sexuelle Ausrichtung abzugrenzen, die als Diskriminierungskategorie von Art. 21 GRC explizit genannt wird, in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG aber nicht auftaucht. Das Bundesverfassungsgericht, der Europäische Gerichtshof (EuGH), sowie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) sind sich einig, dass ein entsprechendes Diskriminierungsverbot nicht von dem Verbot der Geschlechterdiskriminierung umfasst sei. Wegen der Nähe zu den in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG genannten Kategorisierungen unterliege die Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung aber erhöhten Rechtfertigungsanforderungen.[5]
Diskriminierung homo- und bisexueller Männer
Diskriminierungen beruhen in der Regel nicht nur auf einem ‚Merkmal‘ bzw. einer Kategorisierung, sondern können auch mehrdimensional sein. Das wird sogar den Regelfall darstellen, da jeder Mensch nicht nur ‚Mann‘, ‚homosexuell‘ oder Person bestimmten Alters ist, sondern z. B. ein 60-jähriger homosexueller Mann.
Weil vom Blutspendeausschluss nur homosexuelle Männer betroffen sind, liegt keine eindimensionale Diskriminierung „wegen des Geschlechts“ vor. Weiterhin knüpft die Richtlinie nicht direkt an die sexuelle Ausrichtung (homo- oder bisexuell) an, sondern an den Sexualverkehr mit einem anderen Mann. Damit werden auch heterosexuelle Männer, die mit anderen Männern Sexualverkehr haben, von der Blutspende zurückgestellt. Dabei könnte es sich um eine mittelbare Diskriminierung (vgl. § 3 Abs. 2 AGG) handeln, da die Regelung zwar neutral formuliert ist, aber hauptsächlich Homo- und Bisexuelle benachteiligt. Allerdings erstreckt sich die Regelung nicht auf homo- und bisexuelle Frauen, so dass nicht ‚nur‘ aufgrund der sexuellen Ausrichtung diskriminiert wird, sondern aufgrund des Zusammentreffens mit dem männlichen Geschlecht.
Der EuGH entschied 2015, dass eine französische Verordnung, die Männer mit sexuellen Beziehungen zu anderen Männern wegen ihres ‚Risikoverhaltens‘ dauerhaft von der Spende ausschloss, eine Benachteiligung „wegen der sexuellen Ausrichtung“ i. S. d. Art. 21 GRC sei. [6] Diese könne gerechtfertigt sein, soweit der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt bleibe, also insbesondere weniger belastende Mittel zur Gewährleistung des Gesundheitsschutzes bei der Blutspende in Betracht gezogen wurden, wie z. B. eine individuelle Risikobewertung durch gezielte medizinische Befragung der Spendewilligen. Eine abschließende Bewertung verbleibe bei den nationalen Gerichten. Damit kommt der EuGH zwar zu dem zustimmungswürdigen Ergebnis, dass der Ausschluss der MSM diskriminierend ist, würdigt aber rechtlich nicht, dass diese Diskriminierung nur Männer betrifft. Auch wenn sich in diesem Fall schnell erschließt, dass es sich um eine diskriminierende Regelung handelt, ist die juristische Herleitung wichtig. Es gilt, die Sichtbarkeit mehrdimensionaler Diskriminierung zu erhöhen und das Bewusstsein dafür zu schulen, um Rechtsschutzlücken zu schließen. Dafür stehen postkategoriale und intersektionale Ansätze in der Rechtswissenschaft, die das Diskriminierungsverständnis von festgelegten Kategorien auf eine gesamtgesellschaftliche Perspektive auszuweiten versuchen.
Lösungsansätze in der novellierten Richtlinie
Laut der novellierten Richtlinie sind „Personen mit einem Sexualverhalten, das ein gegenüber der Allgemeinbevölkerung deutlich erhöhtes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten birgt“ für vier Monate von der Spende zurückzustellen. Ein solches sexuelles Verhalten liege insbesondere beim „Sexualverkehr zwischen Frau und Mann mit häufig wechselnden Partnern/Partnerinnen, Sexualverkehr einer Transperson mit häufig wechselnden Partnern/Partnerinnen, Sexualverkehr zwischen Männern (MSM) mit einem neuen Sexualpartner oder mehr als einem Sexualpartner, Sexarbeit, Sexualverkehr mit einer Person mit einer der vorgenannten Verhaltensweisen“ vor. Neben der generellen Verkürzung der Zurückstellungszeit von zwölf auf vier Monate wird nun an das Sexualverhalten und nicht direkt an die Personengruppen angeknüpft. Weiterhin wird nun zwischen dem Sexualverkehr zwischen Frau und Mann sowie dem einer trans* Person mit häufig wechselnden Partner:innen unterschieden.
Auch wenn die Verkürzung und Vereinheitlichung der Zurückstellungszeiten ebenso wie der verhaltensorientierte Ansatzpunkt im Grundsatz zustimmungswürdig sind, kann die neue Fassung der Regelung ebenfalls systematisch nicht überzeugen. Zum einen wird de facto immer noch auf Personengruppen abgestellt, zum anderen werden hier zwar nicht mehr die Kategorisierungen hetero- bzw. homosexuell und transsexuell gegenübergestellt, stattdessen aber die Gruppe der Männer und Frauen von denen der trans* Personen unterschieden. Es zeugt von einem weiterhin mangelnden Verständnis geschlechtlicher Identitäten, dass trans* Personen, die möglicherweise eine männliche oder weibliche Geschlechtsidentität haben, als eigene Personengruppe aufgeführt werden. Dies gilt insbesondere, da es, wie auch seitens der Bundesärztekammer festgestellt, keine belastbaren Daten dazu gibt, dass trans* Personen inner- und außerhalb der Gruppe der MSM ein höheres HIV-Risiko aufweisen würden.[7]
Weiterhin wird die Erweiterung der Norm auf inter* und nicht-binäre Personen durch die explizite Nennung von Männern und Frauen bzw. Partnern/Partnerinnen als Personengruppen unmöglich gemacht. Darin zeigt sich wiederholt das Unvermögen und der fehlende Wille der Richtliniengeber:innen, außerhalb der binären Geschlechterordnung zu denken.
(Anschein der) Diskriminierung vermieden?
Ein Fortschritt der neuen Fassung der Richtlinie ist, dass MSM nicht mehr generell von der Spende zurückzustellen sind. Sexualverkehr zwischen Männern ist damit nicht mehr per se „sexuelles Risikoverhalten“, sondern es werden, wie auch beim Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Frau, weitere Anforderungen an das Sexualverhalten gestellt. Während im letzteren Fall aber nur der Sexualverkehr mit häufig wechselnden Partner:innen zu einem Ausschluss führen kann, werden MSM schon dann ausgeschlossen, wenn sie einen neuen oder mehr als einen Sexualpartner haben. Mithin liegt weiterhin eine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung vor. Zwar kann diese grundsätzlich auf Erwägungen des Gesundheitsschutzes gestützt werden, dazu können Daten zur Verbreitung von Infektionskrankheiten innerhalb von Personengruppen mit einer bestimmten sexuellen Ausrichtung oder Identität aber nur begrenzt herangezogen werden. Zum einen nimmt nicht nur die Anzahl der HIV-Neuinfektionen bei homosexuellen Männern ab, während sie bei heterosexuellen steigt, sondern auch die Dunkelziffer ist bei heterosexuellen Personen höher.[8] Zum anderen kann selbst eine höhere HIV-Rate unter homosexuellen Männern nicht dazu führen, dass die sexuelle Ausrichtung ein geeigneter Anknüpfungspunkt wäre, um Infektionsrisiken zu bewerten. Diese beruhen auf dem Sexualverhalten, welches zwar je nach sexueller Ausrichtung unterschiedlich sein mag, die Unterschiede zwischen homo- und heterosexuellem Geschlechtsverkehr sind jedoch keine infektionsbegünstigenden Faktoren. Sexuelles Verhalten führt nur dann zu einem erhöhten Infektionsrisiko, wenn es sich nicht um Safer Sex handelt.
Zwar hat sich das HI-Virus in den USA der 70er/80er Jahre besonders in der Schwulen-Szene ausgebreitet, was mit dem erhöhten Infektionsrisiko bei ungeschütztem Analverkehr zusammenhängt, dies beruhte aber auch auf deren gesellschaftlicher Ausgrenzung sowie mangelnder gesundheitlicher Aufklärung. Ein weiteres Anknüpfen an die sexuelle Ausrichtung des Spenders basiert auf einer daraus resultierenden stereotypen Vorstellung männlicher homosexueller Sexualkontakte. Dadurch, dass nicht an das tatsächliche Sexualverhalten, insbesondere die Verwendung von Kondomen oder PrEP angeknüpft wird, wird ein unzulässiger Zusammenhang zwischen sexueller Ausrichtung und Verhütungspraktiken hergestellt, obwohl die Gruppe der MSM in ihren sexuellen (Risiko-)Verhaltensweisen keineswegs homogen ist. Darin liegt eine Diskriminierung.
Deutschland zieht anderen EU-Ländern nach
Obwohl in der novellierten Richtlinie diskriminierungsrechtlich relevante Regelungen gesehen wurden und auch Ausgangspunkt der Neufassung waren, vermag diese nicht mehr, als den „Anschein” einer nicht-diskriminierenden Regelung zu erwecken. Das ist vor dem Hintergrund, dass die tatsächlich stattfindende Diskriminierung von den zurückgestellten homo- und bisexuellen Männern sowie von trans* Personen, deren Identität weder verstanden noch rechtlich anerkannt wird, durch die alte Fassung der Richtlinie im Entstehungsprozess nicht explizit adressiert wurde, auch wenig überraschend. Es ist eine verpasste Chance, dass bei der Novellierung der Richtlinie nicht systematisch konsequent vorgegangen wurde.
In anderen europäischen Rechtsordnungen hat die (mittelbare) Anknüpfung an die sexuelle Ausrichtung für die Frage, ob ein erhöhtes Risiko für Infektionskrankheiten wegen des Sexualverhaltens vorliegt – wohl auch infolge des erwähnten EuGH-Urteils – an Bedeutung verloren. So erfolgt in Bulgarien eine individuelle Risikobefragung, während in Dänemark jedenfalls homosexuelle Männer, die in einer festen Beziehung leben, von der Zurückstellung nicht betroffen sind. In Spanien und Italien wird für die Bewertung des Risikos für Infektionskrankheiten nur noch auf das tatsächliche Risikoverhalten und nicht mehr auf die sexuelle Ausrichtung abgestellt. Diesem Ansatz folgt seit 2020 auch Ungarn.[9] Das ist unter Berücksichtigung der dort stattfindenden offenen Diskriminierung von LGBT-Personen ein mehr als unzufriedenstellendes Ergebnis für die deutsche Politik.
Nun steht jedoch eine grundsätzliche Änderung der Rechtslage in Aussicht. So heißt es im Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und der FDP: „Das Blutspendeverbot für Männer, die Sex mit Männern haben, sowie für Trans-Personen schaffen wir ab, nötigenfalls auch gesetzlich.“[10]. Auch wenn der Begriff des Verbotes hier ungenau ist, scheint die Zielsetzung zu sein, die sexuelle sowie geschlechtliche Identität nicht mehr zur Bewertung eines erhöhten Infektionsrisikos aufgrund „sexuellen Risikoverhaltens“ heranzuziehen. Das wäre der notwendige Schritt für einen diskriminierungsfreien Zugang zur Blutspende, den die bisherige Regierung nicht gegangen ist. Eine gesetzliche Normierung der Zurückstellungskriterien im Tranfusionsgesetz wäre zudem ein politisch wünschenswertes Signal.
Zum weiteren Nachlesen und -hören:
Zum Geschlechtsdiskriminierungsverbot:
Laura Adamietz, Geschlecht als Erwartung. Das Geschlechtsdiskriminierungsverbot als Recht gegen Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität, Nomos Baden-Baden, 2011.
Zu der Perspektive eines postkategorialen Antidiskriminierungsrechts:
Doris Liebscher/ Tarek Naguib / Tino Plümecke / Juana Remus, Wege aus der Essentialismusfalle, Überlegungen zu einem postkategorialen Antidiskriminierungsrecht, KJ 2012, S. 204–218.
[1] https://bit.ly/3gaL0N6, Zugriff am 18.11.2021.
[2] https://bit.ly/3g786o4, Zugriff am 19.11.2021.
[3] https://bit.ly/3r8N0vV, Zugriff am 14.12.2021, S. 18 f.
[4] https://bit.ly/3AIVvRA, Zugriff am 28.01.2022, S. 6.
[5] Baer/Markard, in: Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar Grundgesetz, 7. Auflage 2018, Art. 3, Rn 458 f.
[6] EuGH, Urteil vom 29.04.2015 – C-528/13, Geoffrey Léger.
[7] Bundesärztekammer (Fn. 5), S. 27.
[8] Bundesärztekammer (Fn. 5), S. 25.
[9] https://bit.ly/343WsYu, Zugriff am 28.01.2022.
[10] https://bit.ly/3GaOCtl, Zugriff am 28.01.2022, S. 120.