Die neue Bundesregierung stellt eine Streichung des § 219a StGB in Aussicht. Bisher war das auf Grund von Widerstand aus der CDU nicht möglich. Mit Blick auf den organisierten „Lebensschutz“ innerhalb der Partei ist das nicht verwunderlich. Dieser unterhält Verbindungen zur Neuen Rechten und war bis vor kurzem in der Parteispitze vertreten.
Nach jahrelangen Kämpfen feministischer Aktivist*innen zeichnet sich nun endlich ein Erfolg ab – die neue Bundesregierung kündigt in ihrem Koalitionsvertrag an, den § 219a aus dem Strafgesetzbuch streichen zu wollen. Dieser regelt bislang das „Werbeverbot“ für Schwangerschaftsabbrüche. Demnach macht sich jede Person strafbar, die entweder eines „Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise“ Mittel, die geeignet sind, eine Schwangerschaft abzubrechen oder „eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs […] anbietet, ankündigt oder anpreist“. Auf Grundlage dessen wurden immer wieder Mediziner*innen von „Lebensschützern“ angezeigt, da sie auf ihrer Webseite angaben Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Federführend sind hier besonders der bekannte „Lebensschützer“ Klaus-Günter Annen, sowie der Mathematikstudent Jannic Hendricks. Sie durchkämmen gezielt das Internet auf der Suche nach Mediziner*innen, die auf ihren Webseiten Informationen teilen, die nach § 219a strafbar sind.
Lange Zeit fand dies kaum öffentliche Beachtung, bis die Ärztin Kristina Hänel 2017 nach § 219a StGB zu einer Geldstrafe verurteilt wurde.[1] Ausschlaggebend für die Verurteilung war nicht ein „anpreisen“ von Schwangerschaftsabbrüchen, sondern die Tatsache, dass sie mit den Eingriffen Geld verdient und so ihres eigenen „Vermögensvorteils wegen“ handelt. Hänels Fall erreichte durch eine von ihr ins Leben gerufene Petition gegen § 219a schnell ein hohes Maß an medialer Aufmerksamkeit, gefolgt von diversen öffentlichen Protestaktionen. Zentraler Kritikpunkt von Hänel und ihren Mitstreiter*innen war dabei, dass § 219a nicht dazu dient, Werbung im herkömmlichen Sinne – Werbung für medizinische Leistungen verbietet bereits die Berufsordnung für Ärzt*innen – zu verbieten.[2] Vielmehr sehen sie in §219a einen gezielten Eingriff in die Informationsfreiheit gebärfähiger Personen. Gleichzeitig befürchten sie, dass aus Angst vor Kriminalisierung die Zahl an Mediziner*innen die Abbrüche durchführen weiter sinken wird.[3]Mit ihrer Petition konnte Hänel bewirken, dass der Bundestag sich mit § 219a auseinandersetzen musste. Daraus entstand eine Gesetzesreform, die im Februar 2019 verabschiedet wurde.[4] Nach dieser sind Ärzt*innen, die Abbrüche nach § 218 StGB vornehmen, von einer Strafe nach § 219a ausgenommen, wenn sie nur über die Tatsache informieren, dass sie Abbrüche vornehmen, ohne auf Details z.B. zur Methode einzugehen.[5]Doch auch nach dieser Neuerung kommt es immer wieder zu Verurteilungen von Ärzt*innen, da diese Informationen teilten, die über das Erlaubte hinaus gingen. Feminist*innen kritisieren die Gesetzesreform daher scharf und fordern nach wie vor eine vollständige Streichung des § 219a, um eine uneingeschränkte Information zu Schwangerschaftsabbrüchen von den durchführenden Ärzt*innen möglich zu machen.[6]
Der „Lebensschutz“ als antifeministisches Projekt
Dass der Paragraph nun voraussichtlich gestrichen wird, ist zwar aus feministischer Perspektive erfreulich, kann jedoch weniger als Verdienst der neuen Regierung gesehen werden, sondern vielmehr als das Resultat jahrelanger vehementer Kämpfe von Feminist*innen. Trotzdem war ein Regierungswechsel Voraussetzung für eine Gesetzesänderung, da CDU und CSU diese bislang konsequent blockiert haben. Ein Grund dafür könnte die Rolle selbsternannter „Lebensschützer*innen“ innerhalb der CDU sein, welche jegliche Gesetzgebung mit dem Ziel sexueller Selbstbestimmung kategorisch ablehnen. Die sogenannte „Lebensschutzbewegung“ ist ein überkonfessioneller und überparteilicher Zusammenschluss, dem ein konservatives bis rechtsradikales Weltbild zugrunde liegt. Bei den Aktivist*innen handelt es sich fast ausschließlich um fundamentalistische Christ*innen.[7] Ihr primäres Anliegen ist der Kampf gegen Schwangerschaftsabbrüche, in den letzten Jahren adressieren sie jedoch zunehmend auch die diversen Methoden der Reproduktions- und Biomedizin[8] sowie die Sterbehilfe.[9] „Der Feminismus“ stellt dabei ein zentrales Feindbild dar, das es zu bekämpfen gelte.[10] Daher verwundert es auch nicht, dass die ersten „Lebensschutzgruppen“ zu Beginn der 1970er Jahre in unmittelbarer Reaktion auf die sich formierende zweite Frauenbewegung entstanden sind.[11] Traditionelle Leitargumente der Bewegung sind zum einen die Behauptung, jede Schwangerschaft sei von Gott gewollt, zum anderen die Annahme, dass es sich ab dem Zeitpunkt der Empfängnis bei dem Embryo um eine eigenständige Person mit vollumfänglichen Rechten handele. Zunehmend wird dabei auf letzteres Argument zurückgegriffen. Hierbei stützen radikale Abtreibungsgegner*innen ihre Positionen auf den verfassungsrechtlichen Auftrag des Schutzes „ungeborenen Lebens“. Grundlage dafür ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1983, in dem dieses dem Embryo Menschenrechte zusprach und ihn somit unter staatlichen Schutz stellte. Doch geht es den „Lebensschützer*innen“ um viel mehr als das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen. Christliche Fundamentalist*innen sehen hier lediglich einen Anknüpfungspunkt für eine generelle Kulturkritik an einer von Postmoderne und Individualisierung geprägten Gesellschaft. Dass sie dafür ausgerechnet den Schwangerschaftsabbruch instrumentalisieren, lässt sich darin begründen, dass dieser sich besonders emotionalisierend nutzen lässt. Grundsätzlich zielt ihre Kritik auf eine liberalisierte Sexualmoral, vermeintliche Gottlosigkeit und unzureichenden Schutz der „schwächsten“ Mitglieder der Gesellschaft. Als Alternative präsentieren sie ein Gesellschaftsmodell, dass sich nach anti-modernen, anti-säkularen und pro-christlichen Idealen richtet.[12]
Wo Neue Rechte und Christdemokrat*innen sich treffen
Ein Spezifikum des deutschen “Lebensschutzes” ist die Angst vor dem demographischen Wandel und dem dadurch befürchteten Untergang eines „christlichen Abendlandes“. Die hier deutlich werdende Verbindung zur extremen Rechten ist nicht nur ideologischer Gestalt – die diversen „Lebensschutzgruppen“ lassen sich politischen Netzwerken zurechnen, zu denen neben organisierten christlichen Fundamentalist*innen auch diverse Parteien und Organisationen der „Neuen Rechten“ zählen. Dies ist umso interessanter, da es sich bei der überwiegenden Mehrzahl der mindestens 60 ausdrücklichen „Lebensschutzgruppen“ in der BRD um als gemeinnützig anerkannte eingetragene Vereine handelt. In ihrer Arbeit teilen diese sich in zwei ungefähr gleich große Gruppen auf – während die eine insbesondere Propaganda schürt und Lobbyarbeit betreibt, bietet die andere Beratungsgespräche für Schwangere in Krisensituationen an – jedoch ohne den für einen Schwangerschaftsabbruch nach § 218 notwendigen Beratungsschein auszustellen. Ein kleiner Teil betätigt sich auf beiden Gebieten.[13]Doch auch wenn der organisierte „Lebensschutz“ eng mit der Neuen Rechten verwoben ist, darf die Rolle radikaler Abtreibungsgegner*innen innerhalb der CDU nicht vernachlässigt werden. Zwar lehnen viele „Lebensschützer*innen“ die Familien- und Geschlechterpolitik der sogenannten „Merkel-CDU“ – wie z.B. die „Ehe für alle“ ab. Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass der „Lebensschutz“ auf parteilicher Ebene am stärksten innerhalb der CDU etabliert ist. Das zeigt sich darin, dass in der parteinahen Organisation, „Christdemokraten für das Leben“ (CDL) 5000 Mitglieder organisiert sind, darunter zahlreiche Landes- und Kommunalpolitiker*innen der CDU und der CSU, sowie einige Bundestagsabgeordnete. Erklärtes Ziel der CDL ist das Verbot sämtlicher Schwangerschaftsabbrüche. Darüber hinaus sind die CDL als Mitglied des „Bundesverbands Lebensrecht“ Mitorganisator*innen des „Marsches für das Leben“, der jedes Jahr in Berlin und an anderen Orten stattfindet. Der „Marsch für das Leben“ kann als das wichtigste öffentliche Event des deutschen „Lebensschutzes“ bezeichnet werden.[14] Auch wenn die Organisator*innen ihre Überparteilichkeit betonen, nehmen neben Vertreter*innen von „Lebensschutzorganisationen“ und christlichen Verbänden immer auch AfD-Politiker*innen daran teil. So z.B. auch Beatrix von Storch, die dort in der Vergangenheit bereits als Rednerin auftrat.[15] Außerdem veröffentlichte der AfD- Parteivorstand erst im vergangenen Jahr ein Grußwort an den „Marsch für das Leben“. Verwunderlich ist das nicht, beachtet man die Verbindungen der „Lebensschutzbewegung“ in die Neue Rechte. Besorgniserregend ist jedoch, dass die CDL als CDU-nahe Organisation den Marsch aktiv unterstützt und sich so nicht nur nicht von Rechtsextremen abgrenzt, sondern diesen aktiv eine Plattform bietet.
Prominenz der CDU im „Lebensschutz“ – und umgekehrt
Interessant ist daher auch, dass mit Peter Tauber mindestens ein hochrangiger CDU-Politiker Mitglied der CDL ist. Tauber, der von 2013-2018 CDU-Generalsekretär war, bekennt sich auch über seine formale Mitgliedschaft im CDL hinaus zum „Lebensschutz“ und fordert dessen gesellschaftliche Thematisierung. Zudem sprach die Junge Union Hessen sich 2006, während seiner Amtszeit als Landesvorsitzender, für ein verschärftes Abtreibungsverbot aus. Auch wenn es zu Taubers persönlicher Rolle in dem Prozess keine verifizierbaren Informationen gibt, hat er sich zumindest in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wohlwollend zu dem Beschluss geäußert.[16] Auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor ist überzeugter „Lebensschützer“. Im Jahr 2020 gab Amthor, der kürzlich zum Katholizismus konvertierte, einem katholischen Nachrichtenportal ein Interview, in dem er sich offen zur „Lebensschutzbewegung“ bekannte.[17] Amthor fiel in der Vergangenheit bereits öfters durch seine Sympathien mit der radikalen Rechten auf. Erst vor wenigen Monaten sorgte ein von der Antifaschistischen Linken Bochum veröffentlichtes Bild, das Amthor mit zwei Nazis zeigt, für großes Aufsehen im Netz.
Ein weiteres Beispiel für problematische Verbindungen zum „Lebensschutz“ und der „Neuen Rechten“ innerhalb der CDU ist die freie Autorin und Journalistin Birgit Kelle. Kelle, die CDU-Mitglied ist, hielt 2017 einen Redebeitrag beim „Marsch für das Leben“. Bekannt ist sie vor allem als Autorin mehrerer antifeministischer Bücher mit Titeln wie „GENDERGAGA“ oder „Dann mach doch die Bluse zu“. Sowohl in diesen, als auch bei öffentlichen Auftritten und in Kolumnen, tritt sie immer wieder für ein traditionalistisches, heteronormatives, antimodernes Familien- und Geschlechterverständnis ein und hetzt gezielt gegen alle, die diesem nicht entsprechen. Kelle publiziert nicht nur in der Welt und dem Focus, sondern auch im wichtigsten Organ der Neuen Rechten, der Jungen Freiheit.[18] Dazu passt, dass sie vom Antaios Verlag des neurechten Publizisten Götz Kubitschek gelobt wird. Überraschend ist daher auch nicht, dass sie sich auf ihrem Blog explizit gegen die Aufnahme von Geflüchteten ausspricht.
Diese Beispiele zeigen, dass nicht nur prominente CDU-Politiker*innen sich zum „Lebensschutz“ bekennen, sondern auch „Lebensschützer*innen“, die der Neuen Rechten zugeordnet werden können, in der CDU organisiert sind. So wird wieder einmal deutlich, dass antifeministisches, rassistisches und nationalistisches Gedankengut keinesfalls nur in rechtsradikalen Kreisen, sondern auch in weiten Teilen der CDU und somit in der sogenannten „bürgerlichen Mitte“ verbreitet sind. Es ist daher ganz und gar nicht überraschend, dass die CDU als Regierungspartei sexuelle Selbstbestimmung, insbesondere von Frauen, nicht nur nicht gefördert, sondern sich dieser aktiv entgegengestellt hat. Dass die CDU und damit auch ihre antifeministische Politik nun abgewählt wurde ist somit ein erster Schritt in die richtige Richtung. Doch auch wenn die neue Regierung nun ankündigt § 219a zu streichen, dürfen wir uns damit nicht zufriedengeben. Denn um dem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung annähernd gerecht zu werden ist eine Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen unabdingbar. Dafür gilt es in altbewährter feministischer Manier weiter zu kämpfen.
Weiterführende Literatur:
Katja Krolzik- Matthei, Abtreibungen in der Debatte in Deutschland und Europa. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, 2019, 20. (Abrufbar unter: https://www.bpb.de/apuz/290793/abtreibungen-in-der-debatte-in-deutschland-und-europa?p=2#footnode23-23)
Eike Sanders / Ulli Jentsch / Felix Hansen, Deutschland treibt sich ab. Organisierter „Lebensschutz“, Christlicher Fundamentalismus, Antifeminismus, 2014.
Eike Sanders / Kirsten Achtelik / Ulli Jentsch, Kulturkampf und Gewissen. Medizinethische Strategien der „Lebensschutz“-Bewegung, 2018.
[1] Vgl. Krolzik-Matthei Aus Politik und Zeitgeschichte 2019, 3.
[2] Vgl. Heide Oestreich/ Ulle Schauws, Das Gesetz misstraut Frauen, Gunda Werner Institut, 2020 (abrufbar unter: https://www.gwi-boell.de/de/2019/02/22/das-gesetz-misstraut-frauen Stand aller Links: 23.02.2022).
[3] Vgl. Krolzik- Matthei (Fn.1), 3.
[4] Vgl. Deutscher Bundestag, Bundestag stimmt für Neufassung des Paragrafen 219a des Strafgesetzbuches, 2019 (https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2019/kw08-de-schwangerschaftsabbruch-do-594758).
[5] Emilia Roig, Paragraf 219a – die Nation muss bestehen, Gunda-Werner-Institut, 2019, (https://www.gwi-boell.de/de/2019/03/01/paragraf-219a-die-nation.-muss-bestehen).
[6] Krolzik-Matthei (Fn.1), 3.
[7] Ulli Jentsch, Die „Lebensschutz“-Bewegung und die AfD. Nur ein Teil der Bewegung ergreift Partei, In: Alexander Häusler (Hg.): Die Alternative für Deutschland, 2016, 99 (100).
[8] Ulrike Busch, Vom individuellen und gesellschaftlichen Umgang mit dem Thema Abtreibung. In: Ulrike Busch / Daphne Hahn (Hg.), Abtreibung. Diskurse und Tendenzen, 2014, 13 (33).
[9] Michi Knecht, Zwischen Religion, Biologie und Politik, eine kulturanthropologische Analyse der Lebensschutzbewegung, 2006, 11.
[10] Jentsch (Fn. 7), 100.
[11] Krolzik-Matthei (Fn.1), 3.
[12] Jentsch (Fn.7), 101.
[13] Ebenda.
[14] Eike Sanders / Uli Jentsch / Felix Hansen 2014, 86f.
[15] Patricia Hecht, Christian Jakob, Marsch für das Leben in Berlin, Auf dem Kreuzzug, taz v. 21.09.2018, https://taz.de/Marsch-fuer-das-Leben-in-Berlin/!5535227&web/.
[16] Annett Meiritz, Tauber gerät wegen Haltung zu Abtreibung unter Druck, DER SPIEGEL v. 20.12.2013 (https://www.spiegel.de/politik/deutschland/cdu-generalsekretaer-peter-tauber-soll-abtreibungsgegner-sein-a-940359.html).
[17] Vgl. „MdB Philip Amthor bekennt sich zum Lebensschutz“ (https://kath.net/news/70582).
[18] Ernst Kovahl, Lady Gaga des Rechtspopulismus, 2015, der rechte rand (https://www.der-rechte-rand.de/archive/3959/birgit-kelle-rechtspopulismus/).