Vor 50 Jahren beschloss die Ministerpräsident:innenkonferenz den sogenannten „Radikalenerlass“, mit dessen Hilfe vom Verfassungsschutz als links- oder rechtsextrem eingeordnete Personen vom öffentlichen Dienst ferngehalten werden sollten. Millionen von Regelanfragen wurden an den Verfassungsschutz gestellt, betroffen waren von den Berufsverboten aber hauptsächlich Linke. Heute gilt das sogenannte „Mäßigungsgebot“, nach welchem sich Staatsbedienstete bei politischen Betätigungen auf eine gewisse Zurückhaltung zu beschränken haben. Konkret für Richter:innen bedeutet es, dass sie sich so zu verhalten haben, dass das Vertrauen in ihre Unabhängigkeit nicht gefährdet wird.
Auftritt Jens Maier, gebürtiger Bremer, seit Anfang der 90er Richter in Sachsen und seit 2013 Mitglied der AfD. Darin ist er Teil des formal aufgelösten Flügels und bezeichnet sich selbst als „kleinen Höcke“. Als Richter erlangte er 2016 das erste Mal mediale Aufmerksamkeit, als er in einem skandalösen Eilverfahren dem Extremismusforscher Steffen Kailitz die Veröffentlichung seiner wissenschaftlichen Arbeiten über die NPD per einstweiliger Verfügung untersagte. Die wurde von der Kammer wieder aufgehoben und die Klage der NPD in der Hauptverhandlung dann endgültig abgewiesen. Zu der Zeit war Maier am Landgericht Dresden aber schon gar nicht mehr für Medien- und Persönlichkeitsrecht zuständig. Nach einer Rede, in der er sich über „Mischvölker“ und den „Schuldkult“ um die NS-Zeit beschwerte und offen mit der NPD sympathisierte wurden ihm vom Gericht andere Zuständigkeiten zugewiesen und aufgrund der Verletzung des Mäßigungsgebots ein Verweis erteilt.
In der Bundestagswahl 2017 zog er über die sächsische AfD-Liste in den Bundestag ein. In Ausübung seines Mandats radikalisierte er sich weiter und wird seit 2020 vom sächsischen Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft. Als ihm 2021 die Wiederwahl nicht gelang, strebte er eine Rückkehr ins Richteramt an. Nach § 6 Absatz 1 Abgeordnetengesetz haben Abgeordnete, die vorher als Beamt:innen tätig waren, einen Anspruch auf Rückführung in das vor dem Mandat von ihnen bekleidete Amt. Maiers Unbefangenheit als Richter war zu dem Zeitpunkt bereits mindestens fragwürdig, allerdings war fürs erste nicht klar, wer verantwortlich dafür sein sollte, seine Rückkehr ins Amt zu verhindern. Grundsätzlich steht dafür der Weg der Disziplinarklage offen. Eine solche wird gem. § 34 des Sächsischen Disziplinargesetzes von der obersten Dienstaufsichtsbehörde erhoben – im Fall der Richter:innen in Sachsen das Sächsische Staatsministerium für Justiz, Demokratie, Europa und Gleichstellung. Hier lag nun aber der Fall vor, dass Jens Maier noch keinem Gericht zugeteilt war und das Ministerium damit mangels Dienstverhältnisses noch nicht als seine oberste Dienstbehörde galt. Sich auf diese Argumentation stützend wies das Ministerium die Verantwortung von sich und suchte sie im Landtag. Dieser hat die Möglichkeit, durch Beschluss von zwei Dritteln seiner Mitglieder gem. Art. 98 Abs. 2 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 80 der sächsischen Verfassung eine Richteranklage vor dem Bundesverfassungsgericht einzuleiten, zu einer solchen ist es in der Geschichte der Bundesrepublik allerdings noch nie gekommen. Außerdem ist die dafür erforderliche Mehrheit im sächsischen Landtag keinesfalls garantiert: die größten Fraktionen sind die der AfD, welche die Richteranklage natürlich grundsätzlich ablehnt und die der CDU, die wiederum das Ministerium in der Verantwortung sah.
Prof. Dr. Andreas Fischer-Lescano nach, seines Zeichens Professor für Öffentliches Recht, Europarecht und Völkerrecht an der Uni Bremen, ist das Ministerium auch in so einer Ausnahmekonstellation subsidiär zuständig. Während also die Verantwortlichkeit von einer Stelle zur nächsten geschoben wurde, die Landtagsfraktionen Gutachten über die Situation anfertigen ließen und das Ministerium sich mit öffentlichen Äußerungen bedeckt hielt, rückte die Wiedereinsetzung immer näher. Im Februar stellte das Ministerium dann den Antrag, Maier in den Ruhestand zu versetzen. Am 14.03.2022 trat Jens Maier unter medialem Protest seinen Dienst am Amtsgericht Dippoldiswalde an. Zehn Tage später, am 24. März, untersagte ihm das zuständige Dienstgericht auf Antrag des Ministeriums im Eilverfahren vorläufig die Führung seiner Amtsgeschäfte und berief sich dabei auf die Einschätzungen des Verfassungsschutzes.
Soweit der Stand der Dinge. Bis die Entscheidung des Dienstgerichts, ob Jens Maier in den Ruhestand zu versetzen ist, getroffen wird, bleibt er der Richterbank fern. Die Landtagsfraktion der Grünen verfolgt weiterhin eine Richteranklage und die SPD-Fraktion hat inzwischen ein Gutachten darüber veröffentlicht, was vom Justizministerium hätte getan werden können – so bestand wohl auch die Möglichkeit, die Frist auf Wiedereinsetzung verstreichen zu lassen und es auf einen Rechtsstreit mit Maier ankommen zu lassen. Außerdem stehen Änderungen am Abgeordnetengesetz im Raum.
Der Fall stellt beispielhaft die Gefahr der Vereinnahmung demokratischer Institutionen durch Rechtsextreme dar und ermahnt zum tatkräftigen Einsatz gegen diese. Außerdem ist die Debatte, welche Möglichkeiten dafür bestehen und eventuell noch geschaffen werden sollen, längst überfällig. Gleichzeitig darf alle Vorsicht aber nicht in Übermut umschlagen, wie wenn jetzt wieder eine Wiedereinführung der Regelanfrage an den Verfassungsschutz, dessen Geschichte eine klare Fokussierung zulasten von Linken attestiert, gefordert wird. Denn wie die Geschichte zeigt, können und werden solche Instrumentarien, einmal geschaffen, auch für den Kampf gegen die politische Linke missbraucht.