Wer einen Diebstahl begeht, macht sich strafbar, das ist klar. Weniger Verständnis ruft dagegen die Strafbarkeit der Wegnahme von Weggeworfenem hervor, gerade bei Nahrungsmitteln aus Containern. Doch wo liegt der Unterschied zwischen sogenanntem Containern und „normalem“ Diebstahl? Und zu welcher Schlussfolgerung führt dessen rechtliche Würdigung?
Containern, Dumpstern oder Mülltauchen meint das Entnehmen von Nahrungsmitteln aus Müllcontainern von Lebensmittelgeschäften zur Deckung des eigenen Nahrungsbedarfs oder als Protest gegen die Verschwendung von Lebensmitteln bzw. für deren Verhinderung.1 Nach der deutschen Rechtslage stellt ein solches Handeln regelmäßig einen strafbaren Diebstahl und oft einen Hausfriedensbruch dar. Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bestätigte 2020, dass nach geltendem Recht Dumpstern nicht straflos ist.2 In der deutschen Gesellschaft hat dies zu Unmut geführt, sehen doch viele im Containern einen milden und daher legitimen Ausdruck des Protests gegen Lebensmittelverschwendung.3Ist diese Ansicht gerechtfertigt?
Damit ein Diebstahl im Sinne des §242 I Strafgesetzbuch (StGB) vorliegt, muss eine fremde, bewegliche Sache weggenommen werden, um sie sich oder einer dritten Person zuzueignen. Die Besonderheiten die sich beim Containern ergeben, lassen sich im Wesentlichen in drei Punkten zusammenfassen.
Deins, meins, unsers?
Erstens: Durch das Entsorgen der Lebensmittel könnte der Supermarkt erklären, die Sache „loswerden“ und auf das Eigentum an dieser verzichten zu wollen. Wenn niemand Eigentum an einer Sache beansprucht, kann sie – sprachlogisch, aber eben auch aus juristischer Sicht – niemandem mehr gestohlen werden. Eine Eigentumsaufgabe schließt einen Diebstahl folglich aus. Darüber, ob im Wegwerfen einer Sache automatisch eine solche liegt, sind sich Jurist:innen nicht einig. Von einigen Autor:innen, von der Rechtsprechung und vom Gesetzgeber4 wird angenommen, dass, wenn das Interesse des:der Eigentümer:in auf die Vernichtung des Gegenstandes gerichtet ist, das Eigentum aufrechterhalten und der Gegenstand nicht jedem:r Dritten überlassen werden soll. Lebensmittelmärkte sind an lebensmittelrechtliche Entsorgungsvorschriften gebunden, haben gerade daher ein Interesse an der Abgabe des Eigentums nur an ein Entsorgungsunternehmen. Allein die Sorge, finanzielle Sanktionen für einen Verstoß gegen diese Regelungen tragen zu müssen, dürfte die meisten Unternehmen davon abhalten, die Lebensmittel durch einen Eigentumsverzicht „freizugeben“. Der Gesetzgeber selbst liefert dabei durch die Auferlegung von Entsorgungsvorschriften einen Grund für Unternehmen, noch brauchbare Lebensmittel „ordnungsgemäß“ in den Müll zu werfen. Dies erscheint besonders abwegig, wenn man sich verdeutlicht, dass durch das Grundgesetz die Interessen einer Privatperson geschützt werden sollen. Wenn der:die Eigentümer:in seine:ihre Güter aber nur aufgrund einer gesetzlichen Vorschrift „schützt“, besteht kein genuines und damit kein schutzwürdiges Verwertungsinteresse im Sinne des grundrechtlichen Eigentumsschutzes – nicht einmal dann, wenn man eine Eigentumsaufgabe durch das Wegwerfen verneinen sollte. Hierin liegt ein wesentlicher und durch den Gesetzgeber nicht hinreichend beachteter Unterschied zwischen dem „gewöhnlichen“ Diebstahl und dem Containern.
Wertloser Schutz?
Zweitens: Durch das Wegwerfen der Lebensmittel verlieren diese ihren wirtschaftlichen Wert. Grundsätzlich kann auch an wirtschaftlich wertlosen Gegenständen ein Diebstahl begangen werden. Dies leuchtet ein, sobald man an einen persönlichen Gegenstand denkt, der keinen materiell bezifferbaren Wert aufweist. Zu kritisieren ist allerdings, dass Lebensmittelmüll aber weder ein materieller noch ein immaterieller Wert innewohnt. Das Eigentum wird bei der Einordnung des Containerns als Diebstahl daher in mehrfacher Hinsicht „nur symbolisch (…) um seiner selbst willen geschützt“5. Dieser umfassende Schutz des Eigentums durch den Diebstahlstatbestand ist, wie sich aus den in der Entscheidung zum Containern getroffenen Aussagen ergibt, nach Ansicht des BVerfG mit dem Grundgesetz vereinbar.6Es leuchtet allerdings nicht ein, wieso das Schutzinteresse an in jeder Hinsicht wertlosen Lebensmitteln das Interesse an der Zuführung der Nahrungsmittel zu ihrem eigentlichen Zweck, dem Verzehr, überwiegen sollte. Dies gilt insbesondere auch mit Blick darauf, dass das Vernichtungsinteresse ein durch lebensmittelrechtliche Vorschriften aufgezwungenes und kein genuines Eigeninteresse ist. Zudem erscheint bei durch den Staat subventionierten Produkten, zu denen Lebensmittel gehören7, der durch den Staat geförderte Zweck, bei Lebensmitteln eben deren Verzehr, grundsätzlich erhöht schutzwürdig.
Drittens: Aus dem Containern ergibt sich ein gesellschaftlicher Vorteil, nämlich die Reduktion der Verschwendung von Lebensmitteln. Dies müsste eigentlich zu einer Straflosigkeit des Containerns führen, hat doch „[das] Strafrecht […] nur gewichtige Formen schädigenden Sozialverhaltens […] zu sanktionieren“8. Auch der in einer Verurteilung ausgedrückte „Vorwurf, der Täter habe ‚elementare Werte des Gemeinschaftslebens‘ verletzt“9, kann containernden Personen wohl kaum gemacht werden: Weder erleidet jemand einen materiellen oder immateriellen Schaden noch beeinträchtigt ein solches Verhalten die Gesellschaft negativ. Im deutschen Recht gilt zwar, dass „die (gute oder nachvollziehbare) Gesinnung nicht von der Befolgung strafrechtlich garantierter Regeln“10 entbindet. Sogenannte „Fernziele“ führen nicht zur Straflosigkeit eines Verhaltens. Kurz gesagt: Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Bei gesellschaftlich wünschenswerten, tatsächlich gewollten und mit Blick auf den Klimawandel notwendigen Zielen, muss aber dringend überdacht werden, ob diese nicht eine rechtliche Sonderstellung einnehmen müssen.
Aktueller Umgang der Rechtsprechung mit dem Containern
Aktuell werden Verfahren gegen containernde Aktivist:innen häufig eingestellt oder mit einem milden Urteil beschieden.11 Dadurch wird eine mit dem geltenden Recht übereinstimmende und durch eine von der Mehrzahl an Jurist:innen präferierte12 Lösung gewählt. Ein solches verfahrensrechtliches Korrektiv aber bringt verschiedene Probleme mit sich: Zum einen erfolgt im Vorfeld über die Entscheidung eine umfangreiche Ermittlung der jeweiligen Umstände, welche in Anbetracht der Tatsache, dass es sich um Bagatellkriminalität handelt, unverhältnismäßig erscheint.13 Zum anderen muss Containern nicht zwingend bestraft werden, kann aber. Die daraus folgende unterschiedliche Handhabung durch die Staatsanwaltschaften und Gerichte führt zu Rechtsunsicherheit und sogar zur Ungleichbehandlung in ähnlich gelagerten Fällen.14 Eine schnelle und praktikable Abmilderung des als problematisch einzuordnenden Zustandes, der Strafverfolgung containernder Personen, würde daher die „Vereinheitlichung der Strafverfolgungspraxis“15 darstellen. Allerdings fehlt es dem Bundesgesetzgeber hierfür an einer Anweisungskompetenz gegenüber den Strafverfolgungsbehörden. Auch kann damit nicht den inhaltlichen Bedenken zur Strafbarkeit des Containerns begegnet werden. Daher ist die Legislative zum Handeln, im Sinne einer Anpassung der Rechtslage, aufgefordert.
Entkriminalisierung als Lösung?
Die Lösung der Problematik könnte eine Entkriminalisierung des Containerns durch die Änderung oder angepasste Auslegung des Diebstahlstatbestandes mit sich bringen. Dass eine Entkriminalisierung keine unzulässige Auflösung des Eigentumsschutzes bedeuten würde, zeigt sich bereits durch das Fehlen einen genuinen Interesses des:r Rechtsgutsinhabers:in. Zudem ist mit dem Eigentum stets die Verpflichtung zum Gebrauch zum Wohle der Allgemeinheit verbunden, wie das Grundgesetz in Artikel 14 Abs.2 S.2 GG ausweist. Wenn der Gesetzgeber nun einen eigens von ihm als förderungswürdig eingeordneten Zweck, nämlich die Herstellung von Nahrungsmitteln zur Versorgung der Bevölkerung, dadurch konterkariert, dass seine Gesetze so konzipiert sind, dass es zur Verschwendung von weiterhin genießbaren Lebensmitteln kommt, wird diese Verpflichtung übergangen. Es würde sich daher bei einer Entkriminalisierung, wie auch das BVerfG angemerkt hat16, nicht um eine dem Grundgesetz widersprechende Anpassung des Eigentumsschutzes handeln. Im Gegenteil: der Gesetzgeber würde durch eine entsprechende Neuregelung einen gesellschaftlich wünschenswerten und unter Klimaschutzaspekten dringend notwendigen Beitrag zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung leisten.
Allerdings bliebe bei einer „Auflösung“ der Strafbarkeit des Containerns allein über den Tatbestand des Diebstahls eine solche wegen Hausfriedensbruchs oder Sachbeschädigung weiterhin bestehen.17 Um eine Rechtslage zu schaffen, die eine vollständige Entkriminalisierung bedeutet, wäre daher zusätzlich eine Anpassung der Vorschriften zur Abfallentsorgung erforderlich. Alternativ wäre möglicherweise die Einführung einer Strafausschlussregel für Taten mit gesellschaftlich gebilligten, als Staatsziele festgeschriebenen18 und zur Verhinderung irreversibler Zustände notwendigen Zielen denkbar.19
Und die Lebensmittelverschwendung?
Kritiker einer Entkriminalisierung bemerken zudem richtigerweise, dass das Containern die Lebensmittelverschwendung und -überproduktion in Deutschland nicht umfassend und nachhaltig zu beseitigen vermag.20 Um diesem Problem zu begegnen, könnte der Gesetzgeber eine an das französische Modell angelehnte Regelung, durch welche Lebensmittelgeschäfte zum Spenden noch verwertbarer Lebensmittel verpflichtet werden, einführen. Hierdurch würde eine langfristige Lösung geschaffen, womit schließlich auch das Containern und das damit verbundene Suchen nach Nahrung in Müllbehältnissen nicht mehr notwendig wäre.21 Eine Verfolgung nur eines solchen „französischen Modells“ oder einer anderweitigen Eindämmung der Lebensmittelverschwendung würde allerdings eine wichtige Frage in der Diskussion unbeantwortet lassen – nämlich, wie mit einem als ethisch richtig und der Gesellschaft förderlichen einzuordnenden Verhalten22 im Bagatellbereich23 umgegangen werden muss. Eine Entkriminalisierung des Containerns wird durch die Verhinderung von Lebensmittelverschwendung also nicht gleich hinfällig.
Bedenklich ist, wie lange sich der Gesetzgeber Zeit lässt, der aktuellen „Wegwerfpraxis“ – auf welche Art auch immer – zu begegnen. Immerhin hat der Deutsche Bundestag einer Entkriminalisierung des Containerns bereits zwei Mal eine Absage erteilt24, ohne eine Alternative zur Veränderung der jetzigen Situation präsentieren zu können. Bis zu diesem Zeitpunkt bleibt es damit der Zivilgesellschaft überlassen, die Verschwendung von Lebensmitteln so weit wie möglich einzugrenzen.
Weiterführende Literatur:
Dießner, Annika: Was ist das Entwenden von Brot gegen das Verbrennen von Brot? Verfassungsblog (VerfBlog), 2019/10/22, https://verfassungsblog.de/was-ist-das-entwenden-von-brot-gegen-das-verbrennen-von-brot/, Stand: 16.04.2022.
1 Max Malkus, Zur Straffreiheit des Containerns und dem Versuch der Kriminalisierung durch die Staatsanwaltschaften, Forum Recht (FoR) 03/16, 113 (113). Jan Rennicke, Zur strafrechtlichen Behandlung des Containerns de lege lata und de lege ferenda, Zeitschrift für Internationale Strafrechtswissenschaft (ZIS), 7-8/2020, 343 (343). Bundestags-Drucksache (BT-Drs) 19/9345, 1.
2 Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 05. August 2020 – 2 BvR 1985/19.
3 Markus Ogorek, Anmerkung zu BVerfG, Kammerbeschluss v. 5. 8. 2020 2 BvR 1985/20, Juristenzeitung 18/2020, 909 (909).
4 Vgl. Michael Kubiciel, Schriftliche Stellungnahme zu BT-Drs. 19/9345. 2020, S.3. Dass der Gesetzgeber dieser Ansicht folgt, ergibt sich daraus, dass er Containern weiterhin als strafbar erachtet.
5 Guido Britz/ Moritz Torgau: Cora und Franzi gegen die Welt? – Containern und Strafrecht, Juris – Die Monatszeitschrift 2020, 257 (259). Anders: BVerfG (Fn.2), Rn. 42.
6 BVerfG (Fn.2), Rn.41.
7 Jährlich fließen nicht unerhebliche geldliche Mittel in die Förderung der Lebensmittelproduktion durch die deutsche Agrarwirtschaft. Siehe hierzu die Internetseite der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung: https://www.agrar-fischerei-zahlungen.de/agrar_foerderung.html (Dieser und alle weiteren Links: Stand 19.07.2022)
8 BT-Drs. (Fn.1), 1.
9 BVerfG (Fn.2), Rn. 36.
10 Kubiciel, (Fn.4), 3.
11 Max Malkus: Schriftliche Stellungnahme zu BT-Drs. 19/9345. 2020, 15. Kubiciel (Fn.4), 2.
12 Reinnicke (Fn.1), (347f.). Britz / Torgau, (Fn.6), (259). Christian Jäger, Zur Strafbarkeit des Mülltauchens, Juristische Ausbildung (JA) 2020, 393 (396). Anja Schiemann, „Containern“ – Strafbar aber nicht strafwürdig?, Kriminalpolitische Zeitschrift (KriPoZ) 4/2019, 231 (235f.).
13 Malkus (Fn.11), S. 14.
14 Max Malkus, Containern – strafbar und strafwürdig?Eine rechtliche Betrachtung des Containers, seiner Sanktionen und Rechtfertigungen, Magazin für Restkultur 04/2016, 1. Malkus (Fn.11), 1ff., 14. Bzgl. der Praxis der StAs zustimmend: Anja Schiemann, Schriftliche Stellungnahme zu BT-Drs. 19/9345. 2020, 4.
15 BT-Drs. 19/26236, 2.
16 BVerfG (Fn.2), Rn.41f.
17 Reinnicke (Fn.1), (346). Schiemann (Fn.12), (236). Schiemann (Fn.14), 2. Wolfgang Mitsch, Strafbarkeit und Entkriminalisierung von „Containern“, Vortrag 8. internationale rechtsvergleichende Konferenz 16.12.2019, https://www.uni-potsdam.de/fileadmin/projects/ls-mitsch/Vortr%C3%A4ge/Containern.pdf, 3. Thomas Fischer, Schriftliche Stellungnahme zu BT-Drs. 19/9345. 2020, 6. Kubiciel (Fn.4), 5. Nicole Luther, Schriftliche Stellungnahme zu BT-Drs. 19/9345. 2020, 4.
18 Beim Klimaschutz in Art. 20 a GG.
19 Dieser Ansatz wird als eine zentrale These in der Dissertation der Verfasserin näher untersucht.
20 Reinnicke (Fn.1), (347). Fischer (Fn.17), 4f. Geeignetheit ebenfalls überwiegend ablehnend: Kubiciel (Fn.4), 1. Kritisch: Annika Dießner, Schriftliche Stellungnahme zu BT-Drs. 19/9345. 2020, 12.
Man sollte an dieser Stelle aber fragen, ob dies erstens überhaupt der Anspruch der containernden Personen ist und zweitens die Anforderung an diese sein kann. Letzteres dürfte, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, nach Sicht der Kritiker:innen wie Befürworter:innen abzulehnen sein.
21 Inhaltlich wohl übereinstimmend, allerdings überwiegend unter der Formulierung, dem Containern werde damit die „Grundlage entzogen“:Reinnicke (Fn.1), (348). Fischer (Fn.17), 8. Schiemann (Fn.12), (236). Evelin Schulz, Schriftliche Stellungnahme zu BT-Drs. 19/9345. 2020, 2. Malkus, (Fn.11), 13f.
22 BT-Drs. (Fn.1), 1. BT-Drs. (Fn.15), 1. BT-Drs. 19/26270, 5.
23 Reinnicke (Fn.1), (346). Britz / Torgau, (Fn.5), (259).
24 Entschieden wurde über die Anträge BT-Drs. (Fn.1) und BT-Drs. (Fn.15) ohne Aussprache.