Obwohl Gefangene in Deutschland überwiegend zur Arbeit verpflichtet sind, erhalten sie dafür einen Niedriglohn und keine soziale Absicherung. Um die eigenen prekären Beschäftigungsverhältnisse zu verbessern und sich selbst im politischen Diskurs zu etablieren, hat sich 2014 eine Gefangenen-Gewerkschaft gegründet. Diese wird in ihrer politischen Arbeit massiv von Verwaltung und Justiz behindert.
Das Grundgesetz verbietet in Art. 12 Abs. 3 Zwangsarbeit in Deutschland, gestattet aber eine Ausnahme bei gerichtlich angeordneter Freiheitsentziehung.1 Diese wird in § 41 Bundesstrafvollzugsgesetz (StVollzG) konkretisiert, der eine allgemeine Arbeitspflicht für Gefangene vorsieht. Im Rahmen der Föderalismusreform 2006 ist die Gesetzgebung für den Strafvollzug vom Bund auf die Länder übergegangen. Dies hat zur Folge, dass das Bundesrecht gemäß Art. 125a GG weitergilt bis etwaiges Landesrecht erlassen wird. Mittlerweile haben alle sechzehn Bundesländer von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und eigene Strafvollzugsgesetze erlassen. Außer Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Saarland und Sachsen sehen alle Bundesländer in ihren jeweiligen Strafvollzugsgesetzen eine Arbeitspflicht für Gefangene vor. Der Zweck einer solchen wird allgemein in der Resozialisierung der Inhaftierten gesehen.2 Nach dem StVollzG sind Gefangene resozialisiert, wenn sie im Vollzug erlernt haben, künftig ein Leben in sozialer Verantwortung und ohne Straftaten zu führen, sog. Vollzugsziel, § 2 StVollzG. Das BVerfG hat festgestellt, dass dieses Vollzugsziel durch Pflichtarbeit erreicht werden kann, wenn die geleistete Arbeit angemessene Anerkennung findet.3
Trotz der Arbeitspflicht ist die Arbeitnehmer:inneneigenschaft von Gefangenen juristisch umstritten. Im deutschen Arbeitsrecht ist der Status als Arbeitnehmer:in notwendige Voraussetzung für die Anwendbarkeit der wichtigsten arbeitsrechtlichen Vorschriften. Dazu gehören Bestimmungen zum Arbeitsschutz, die Einbeziehung in soziale Sicherungssysteme wie Kranken-, Renten, und Pflegeversicherung, der Anspruch auf Fortzahlung des Lohns im Falle von Krankheit sowie die Zahlung von Mindestlohn. Auch wenn einige Autor:innen in der Wissenschaft dafür argumentieren, Gefangene unter diesen Begriff zu fassen,4 lehnen die überwiegende Literatur und die Gerichte ein Vorliegen der Eigenschaft als Arbeitnehmer:in ab.5 Das Verhältnis zwischen der Anstalt und Gefangenen wird deshalb als öffentlich-rechtlich eingeordnet. Inhaftierten kommt kein Arbeitnehmer:innenstatus zu und zwischen der Anstalt und ihnen kann kein Arbeitsvertrag geschlossen werden.6
Niedriglöhne und fehlende soziale Absicherung
Für den arbeits- und sozialrechtlichen Stand der Inhaftierten ist das fatal: Gefangene sind zwar nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) VII unfall- und nach dem SGB III arbeitslosenversichert. Die Arbeitnehmer:inneneigenschaft ist aber Voraussetzung für den Anspruch auf Mindestlohn, für den Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ebenso wie für die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung. Die Zeit im Vollzug gilt für die Rentenversicherung nicht als Ersatz- oder Anrechnungszeit. Gerade nach langen Haftstrafen droht ehemaligen Gefangenen deshalb Altersarmut. Wollen die Gefangenen die Versicherungen aufrechterhalten, müssen sie selbst für die Beiträge aufkommen. Das ist reiner Zynismus angesichts der Tatsache, dass der Stundenlohn von Gefangenen bundesweit durchschnittlich 1 bis 3 € beträgt.7 Diese äußerst geringe Entlohnung wird vom Oberlandesgericht (OLG) Hamm in einem Beschluss zum Arbeitsentgelt von Gefangenen ammHamm unter anderem damit gerechtfertigt, dass die Gefangenen vermeintlich geringere berufliche Qualifikationen aufweisen als reguläre Arbeitnehmer:innen und die Produktivität von Inhaftierten deutlich hinter der von Arbeitnehmer:innen in Betrieben der gewerblichen Wirtschaft zurückbleibt. Ebenfalls, so das OLG Hamm, herrsche durch ständige Entlassungen und Neuzugänge eine starke Fluktuation der Arbeitskraft und es gebe darüber hinaus nicht-monetäre Anerkennungsformen der Vergütung, wie die Freistellung nach § 42 StVollzG.8Hierbei können Gefangene, wenn sie eine gewisse Zeit am Stück gearbeitet haben, einige Tage von der Arbeit freigestellt werden. Die Freistellung stellt also eine Parallele zum Erholungsurlaub von Arbeitnehmer:innen außerhalb der Strafvollzugs dar. Die Anzahl der im Vorfeld zu arbeitenden Tage und der maximalen Dauer der Freistellung variiert hierbei in den Strafvollzugsgesetzen der Länder.
Resozialisierung durch Ausbeutung?
Ein weiteres Argument für die prekäre Beschäftigungssituation der Gefangenen ist, dass deren Arbeit primär der Resozialisierung und nicht – wie Lohnarbeit in Freiheit etwa – der Schaffung einer Lebensgrundlage diene. Die Gefangenen sollen hierdurch Fähigkeiten erlernen, um sich nach der Entlassung eine Grundlage für ein straffreies Leben in Freiheit zu schaffen. Auch ist die Gefangenenarbeit ein wirksames Instrument, um den Strafvollzug zu stabilisieren und für Sicherheit und Ordnung zu sorgen.9 Nach Ansicht des ehemaligen Berliner Justizsenators Thomas Heilmann (CDU) stellt Gefangenenarbeit eine „beschäftigungstherapeutische Maßnahme“ 10 dar.
Die Arbeit im Gefängnis kann entweder in einem Eigenbetrieb geleistet werden, also ein Betrieb, der von der jeweiligen Anstalt selbst unterhalten wird, wie bspw. Bäckereien, Wäschereien oder Gärtnereien, die der Versorgung der Anstalt dienen, oder in sog. Unternehmerbetrieben. Hierbei stellt die Anstalt einem externen Unternehmen ihre Räumlichkeiten als Produktionsstätte und Gefangene als Arbeitskräfte zur Verfügung.11 Die Plattform Correctiv hat eine Liste von knapp 90 deutschen Unternehmen zusammengetragen, die in Gefängnissen produzieren lassen. Dort finden sich bekannte Konzerne wie BMW, Daimler, Miele und Volkswagen.12 Die Produktion in Gefängnissen ist für externe Unternehmen äußerst attraktiv: Es muss keine Miete für die Produktionsstätte entrichtet werden, Arbeitskräfte stehen immer zur Verfügung und die tatsächlichen Kosten für diese Arbeitskräfte sind weitaus geringer als bei den in der freien Wirtschaft Beschäftigten, da unter anderem die Kosten für Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder Ausgleichszahlungen bei Auftragsmangel entfallen.13 Damit können Produktionskosten gesenkt und Gewinne maximiert werden, ohne die Produktion in Billiglohnländer auslagern zu müssen. So argumentiert auch das Land Niedersachsen in einem Flyer, mit dem darum geworben wird, in Gefängnissen produzieren zu lassen.14
Zu wenig Geld und überteuerte Produkte
Über den Niedriglohn, den die Gefangenen für ihre Arbeit erhalten, dürfen sie auch nicht gänzlich frei verfügen. Nach dem StVollzG muss von dem Arbeitsentgelt über die Hälfte gespart werden, um sich ein sog. Überbrückungsgeld für die Zeit nach der Haft anzulegen, § 51 StVollzG. Dieses Überbrückungsgeld soll den notwendigen Lebensunterhalt der Gefangenen und eventueller Unterhaltsberechtigten für die ersten vier Wochen nach der Entlassung sichern.
Vom restlichen Geld können Inhaftierte Einkäufe beim sog. Anstaltskaufmann tätigen oder mit ihren Angehörigen telefonieren. Problematisch ist dabei, dass die Versorgung der Gefängnisse mit Lebensmitteln und Telefonie von hochpreisigen Monopolisten betrieben wird. Der Telefonanbieter Telio ist deutscher Marktführer für Gefängnis-Telefone. In einem Prozess, in dem ein Gefangener gegen die überteuerten Telefongebühren geklagt hatte, stellte ein Sachverständiger fest, dass die Gebühren von Telio rund 272 % über dem Angebot des günstigsten Anbieters für Gefangenentelefonie lagen.15 Die Massak GmbH ist Marktführerin in Sachen Lebensmitteln. Die Tageszeitung nd fand heraus, dass mindestens zwei Drittel der Gefängnisse in Deutschland von Massak beliefert werden. Gefangene können über Bestelllisten ihre Einkäufe tätigen und bekommen anschließend gepackte Kisten geliefert. Eine Preisanalyse hat ergeben, dass viele Produkte signifikant teurer sind als in regulären Supermärkten, teilweise sogar um bis zu 70%.16
Hier sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die Ernährung in deutschen Gefängnissen ohnehin in der Kritik steht.17 Um auf die schlechte Qualität der Nahrung und die unzureichenden Portionsgrößen aufmerksam zu machen, starteten Gefangene in der JVA Heidenreich im August 2019 den Twitteraccount “Gefängniscuisine“, über den sie Bilder von den erhaltenen Mahlzeiten verbreiteten.18 In den gängigen Kommentaren zum Strafvollzugsrecht steht, dass die Verpflegung hinter Gittern kein zusätzliches Strafübel darstellen darf.19 Mit Blick auf die über Twitter verbreiteten Mahlzeiten kann dies in jedem Fall hinterfragt werden.
Randgruppe Strafgefangene
Gefangene sind also nicht nur zur Arbeit für einen Niedriglohn verpflichtet und werden dabei von Unternehmen ausgebeutet, während sie dafür so gut wie keine Sozialleistungen oder soziale Absicherungen erhalten, sondern sie sind mangels anderweitiger Angebote auch gezwungen, überteuerte Produkte zu konsumieren. Gleichzeitig sollen sie sich einen finanziellen Puffer für die Zeit nach der Haftentlassung ansparen, was aufgrund des geringen Lohns eine kaum zu bewältigende Aufgabe darstellt. Die Arbeitssituation in deutschen Gefängnissen muss also als prekär bezeichnet werden.
Eine Lobby, die sich für eine Verbesserung ihrer Situation einsetzt, haben die Gefangenen nicht. Keine der etablierten Gewerkschaften fasst den Strafvollzug unter ihren Organisationsbereich. Die Satzung der Industriegewerkschaft Metall (IG Metall) sieht sogar vor, dass im Falle einer Haftstrafe die Mitgliedschaft für die Zeit der Inhaftierung ruht.20Demgegenüber sehen die Satzungen der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) die Möglichkeit einer Unterstützung in Haft vor, aber nur für den Fall, dass das Mitglied wegen gewerkschaftlicher Aktivität in Haft kommt.21
Und auch in den Gefängnissen selbst gibt es keine Institution, die sich für eine Verbesserung der Situation der Gefangenen einsetzt. Das StVollzG sieht zwar die Möglichkeit der Einrichtung einer Gefangenenmitverantwortung (GMV) vor. Nach § 160 StVollzG soll die GMV den Inhaftierten ermöglichen: „an der Verantwortung für Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse teilzunehmen, die sich ihrer Eigenart und der Aufgabe der Anstalt nach für ihre Mitwirkung eignen.”. Hiermit sind Tätigkeitsfelder wie die Freizeitgestaltung oder Fragen der Hausordnung gemeint, nicht aber die grundlegende Verbesserung des arbeits- und sozialrechtlichen Standes der arbeitenden Gefangenen. Die GMV räumt den Inhaftierten gerade kein originäres Mitbestimmungsrecht ein.22 In der Praxis bedeutet die Arbeit der GMV also, dass einige wenige gewählte Gefangene die Speiseplangestaltung oder Bibliotheksbenutzung diskutieren. Christine Graebsch vergleicht die Reichweite der GMV mit der einer Schüler:innenvertretung, der es gestattet ist, Elternabende mitzugestalten. 23 Die GMV ist also keine ernstzunehmende Lobby für Gefangene.
Gefangene organisieren sich
Schließlich haben sich Inhaftierte eine Lobby selbst geschaffen, als im Mai 2014 in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Berlin Tegel einige Gefangene per Handschlag eine Gefangenen-Gewerkschaft mit dem Namen „Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation“ (GG/BO) gründeten. Die Idee einer Gewerkschaft für Inhaftierte war damals kein Novum. Bereits 1968 gründete Alfons Bitterwolf die Deutsche Gefangenen-Gewerkschaft, welche schon im Folgejahr aufgrund von wirtschaftlichen Fehlentscheidungen und rechtlichen Satzungsproblemen in die Brüche ging. Das Vorhaben scheiterte unter anderem deshalb, weil Bitterwolf den Versuch unternahm, private Bereicherungsinteressen durchzusetzen.24
Die GG/BO ist die erste von Gefangenen gegründete Gewerkschaft, die über das Anfangsstadium hinaus Bestand hat. Die GG/BO ist anarcho-syndikalistisch aufgebaut, was bedeutet, dass einzelne Gefangene, wenn sie mit den Forderungen der GG/BO und deren Selbstverständnis übereinstimmen in jeder JVA auf Eigeninitiative Gewerkschaften gründen können und bei ihrer Arbeit durch Soligruppen außerhalb der Gefängnisse unterstützt werden.25 Die Kernforderungen der GG/BO sind die volle Gewerkschaftsfreiheit hinter Gittern, die Einbeziehung der inhaftierten Beschäftigten in den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn und in die komplette Sozialversicherungspflicht. Die oben beschriebene prekäre Arbeitssituation der Gefangenen wird durch diese zentralen aber einfach gehaltenen Forderungen der GG/BO zusammengefasst.
Die Arbeit der GG/BO
Die GG/BO zählt mittlerweile Mitgliederzahlen im unteren fünfstelligen Bereich und ist deutschlandweit in JVAs aktiv. Genaue Angaben über die Mitgliederzahlen und den Verteilungsschlüssel macht die GG/BO nicht mehr, da dies in der Vergangenheit teilweise von Anstalten dazu genutzt wurde, gegen eventuelle Mitglieder vorzugehen.26 Es gibt drei Soligruppen in Jena, Leipzig und Köln, die sich die Zuständigkeiten für alle sechzehn Bundesländer teilen. Wie wirkmächtig die GG/BO aktuell ist, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, da viele engagierte Gefangene aufgrund der drohenden Repressionen anonym bleiben wollen. Denn die Artikulierung gemeinsamer Interessen und die gemeinschaftliche Organisierung hinter Gittern könnte unter den Tatbestand der Gefangenenmeuterei nach § 121 StGB subsumiert werden. 27
Die Arbeit der Gefangenen-Gewerkschaft konzentriert sich darauf, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die prekäre Lage der Gefangenen zu lenken und sich selbst im politischen Diskurs zu etablieren. Dies geschieht beispielsweise über die gewerkschaftseigene Homepage, auf der Informationen rund um die GG/BO, die Soligruppen, Berichterstattungen und Gerichtsurteile zu finden sind. Ebenfalls sind bisher drei Ausgaben der Zeitschrift #outbreak erschienen, die das Sprachrohr der GG/BO darstellt und sich vor allem an Inhaftierte richtet. Durch einen Fragebogen in der zweiten Ausgabe der Zeitschrift #outbreak mit Fragen rund um die Produktionslandschaft im Strafvollzug wurde beispielsweise versucht, Gefangene auf ihren prekären Status aufmerksam zu machen und für die Gewerkschaftsarbeit zu gewinnen.28
Auch hat die GG/BO schon zahlreiche Kampagnen gestartet. Ende 2018 wurde bundesweit dazu aufgerufen, sich kollektiv gegen die überteuerten Telefonie-Preise der Telio GmbH zur Wehr zu setzen. Dafür wurden Musteranträge zur Senkung der Telefonkosten veröffentlicht, die bei der jeweiligen Anstalt oder bei Gericht eingereicht werden konnten. Bereits im Folgejahr berichtete ein Gefangener der JVA Rosdorf von einer merklichen Absenkung der Kosten für Telefonate.29 Ebenfalls hat die GG/BO gemeinsam mit ihren Mitgliedern vor Gericht Beschlüsse zur Gefangenen-Gewerkschaft und zum Strafvollzug allgemein erstritten.30 In der Gründungsphase der Gewerkschaft wurde beispielsweise mehrfach die Rechtswidrigkeit der Zurückbehaltung von Mitgliedsanträgen und Unterschriftenlisten gerichtlich festgestellt.31 Die Soligruppen organisieren auch Solidaritätskundgebungen und Demonstrationen und treten in den Dialog mit Basisgewerkschaften und politischen Gruppen.
Arbeitskampf im Gefängnis
Der Arbeitskampf im Gefängnis gestaltet sich aufgrund der Organisation des Strafvollzugs schwierig. Zunächst deshalb, weil Uneinigkeit darüber herrscht, ob Gefangene überhaupt streiken dürfen oder nicht. Strittig ist hierbei, ob Gefangene in den Schutzbereich der in Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Koalitionsfreiheit fallen. Das OLG Hamm bejahte dies in einer Entscheidung im Juni 2015.32 Das Kammergericht (KG) Berlin hingegen lehnte dies mit der Begründung ab, dass Gefangene keine Arbeitnehmer:innen seien.33 Wie eingangs bereits erwähnt, herrscht im juristischen Diskurs jedoch seinerseits Uneinigkeit über die Arbeitnehmer:inneneigenschaft von Gefangenen.34 Der rechtliche Status von Inhaftierten und mithin auch der GG/BO als Vereinigung von Gefangenen ist also unklar.
Darüber hinaus sind aufgrund der rechtlichen Vorgaben des Strafvollzugs die Möglichkeiten des Arbeitskampfes beschränkt. Wie bereits erwähnt, könnte bereits der Versuch einen Arbeitskampf zu organisieren unter den Straftatbestand der Gefangenenmeuterei fallen.35 Wegen fehlender legaler Arbeitskampfmaßnahmen müssen Gefangene zu alternativen Streikformen greifen. In den 80er Jahren versahen Gefangene der JVA Straubing, deren Aufgabe das Ausdrucken von Haftbefehlen war, diese mit Druckfehlern, sodass Berge davon vernichtet werden mussten. In der JVA Plötzensee mussten die Gefangenen für Lufthansa Einwegbesteck in Plastiktüten packen. Nachdem Fluggäste auf ihrer dem Besteck beigelegten Serviette Botschaften wie „made in Zwangsarbeit“ oder „an Bord befindet sich eine Bombe“ fanden und sich daraufhin beim Konzern beschwerten, zog Lufthansa den Auftrag an die JVA zurück.36 Auch treten Inhaftierte immer wieder in den Hungerstreik, um ihren Forderungen Gewicht zu verleihen.37 Ein Hungerstreik führt im Strafvollzug zu einer medizinisch indizierten Freistellung von der Arbeit. Eine andere Möglichkeit ist der sog. Bummelstreik, also ein besonders langsames Ausführen der geforderten Tätigkeit.
Repressionen und Union Busting
Die Organisation des Strafvollzugs etabliert zwischen Vollzugbeamt:innen und Gefangenen ein erhebliches Machtungleichgewicht. Dieses eröffnet Beamt:innen weitreichende Handlungsspielräume, um Gefangene unter Druck zu setzen und an einer Tätigkeit im Rahmen der GG/BO und der Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen zu hindern.
Dies zeigt sich in der Praxis darin, dass die GG/BO seit ihrer Entstehung immer wieder Repressionen von Seiten der Verwaltung und der Justiz ausgesetzt ist. Bereits in der Entstehungsphase wurde den Begründern der GG/BO ihr Material (Mitgliedsanträge, Werbematerial und Gründungsunterlagen) entzogen. Die daraufhin von der Gewerkschaft eingereichte Klage wurde vom KG Berlin zunächst mit der Begründung abgewiesen, dass sie als nicht rechtsfähiger Verein keine Anträge auf gerichtlichen Entscheid stellen dürfe. Nach einem Hinweis seitens der GG/BO, dass Gewerkschaften außerhalb des Strafvollzuges ebenfalls die Form nicht rechtsfähiger Vereine besitzen und dennoch klagen und verklagt werden können, musste das KG Berlin den Antrag zulassen und die beschlagnahmten Unterlagen mussten ausgehändigt werden.38 Zudem wurden Postsendungen von und für die GG/BO einbehalten und den Gewerkschaftsmitgliedern wurde die Mitgliederwerbung verboten. 39 Die GG/BO konnte auch ein gezieltes Unter-Druck-Setzen ihrer Mitglieder in Form von Leibesvisitationen, Zellenrazzien oder der Vorenthaltung von Lockerungen im Vollzugsplan beobachten.40
Die Soligruppe Jena berichtet ebenfalls von verschiedenen Repressionen wie beispielsweise Zelleneinschluss, Zwangsverlegungen, Zellendurchsuchungen, Behinderung von Beitritten zur Gewerkschaft und Zensierung von Gewerkschaftsmaterialien, Verhinderung der Bewerbung der Gewerkschaft, Disziplinarmaßnahmen und Schikane von organisierten Gefangenen.41 Die Repressionen beschränken sich allerdings nicht nur auf den Strafvollzug. Auch die Soligruppen erfahren Repressionen in Form von Beschwerden oder Anzeigen sowie massiver Polizeigewalt bei Solidaritätskundgebungen oder Demonstrationen.42
Totale Perspektivlosigkeit?
Obwohl der sozial- und arbeitsrechtliche Status von Inhaftierten prekär ist, gibt es seitens der Gesellschaft oder Politik keinerlei Bestrebungen, dies zu ändern. Die Möglichkeiten der Gefangenen ihre Situation selbst zu verbessern sind aufgrund der Organisation des Strafvollzugs stark begrenzt. Weiterhin wird jeder Versuch der kollektiven Organisierung und jede Form des kollektiven Protestes massiv von Justiz und Verwaltung behindert. Was bleibt also? Es muss öffentlicher Druck erzeugt werden, innerhalb und außerhalb von Gefängnismauern. Durch Demonstrationen, durch Arbeitskampf im Gefängnis, durch die Presse, durch die Wissenschaft. In einem Maß, das dazu führt, dass Gesellschaft, Politik und Justiz die Situation in deutschen Gefängnissen nicht länger ignorieren können.
Weiterführende Literatur:
Friederike Boll / Cara Röhner, Resozialisierung durch Ausbeutung? Arbeit und Gewerkschaftsbildung in deutschen Gefängnissen, KJ 2017, 195.
Judith Höllmann, Wenn Gefangene sich organisieren… Eine Analyse zum Handlungsvermögen der Gefangenen-Gewerkschaft/ Bundesweite Organisation.
Oliver Rast, Knast als gewerkschaftsfreie Zone? Über die Möglichkeiten einer Gefangenen-Gewerkschaft, Forum Recht 01/15, 12.
1 Der Artikel befindet sich auf dem Stand der Rechtsprechung von Mai 2022.
2 S. hierzu BVerfG Beschl. v. 27.12.2007 – 2 BvR 1061/05, BeckRS 2008, 30831.
3 BVerfG, Urteil vom 1.7.1998 – 2 BvR 441–90, NJW 1988, 3337.
4 Einen Überblick geben Frederike Boll und Cara Röhner in Resozialisierung durch Ausbeutung? Arbeit und Gewerkschaftsbildung in deutschen Gefängnissen, Kritische Justiz (KJ), Heft 2 2017, 195,202 f.
5 Siehe beispielsweise Frank Arloth, Strafvollzugsgesetze, 3. Aufl. 2011, § 37 StrVollzG Rn. 6; AK-StVollzG, 6. Aufl. 2012, Vor § 37 StVollzG Rn. 30; OLG Hamburg, Beschl. v. 15.7.2015 − 3 Ws 59/15 Vollz; Befürwortend bspw. Boll/Röhner (Fn. 3), 202 f.
6 Frank Arloth (Fn. 4) Rn. 6.
7 Thomas Galli, Weggesperrt – Warum Gefängnisse niemandem nützen, 2020, S. 88.
8 So die Argumentation des OLG Hamm Beschluss vom 02.10.2001 – 1 Vollz (Ws) 213/2001.
9 So zumindest BeckOK Strafvollzug BW/Reber JVollzGB II § 42 Rn. 1.
10 Diese Äußerung tätigte Claudia Engfeld, die Sprecherin von Herrn Heilmann, in einer Radiosendung vom 30.01.2015 auf „radio eins“, Quelle: https://ggbo.de/wp-content/uploads/2016/02/Outbreak2.pdf S. 39 (Stand: 30.06.2022 für alle folgenden Links).
11 Klaus Laubenthal, Strafvollzug, 2007, Rn 402 f.
12 Die vollständige Liste ist abrufbar unter: https://correctiv.org/aktuelles/justiz-polizei/leben-im-gefaengnis/2021/07/21/made-in-germany-wer-von-der-arbeit-in-gefaengnissen-profitiert/.
13Jörg-Martin Jehle, Lohnt sich Gefangenenarbeit? Grundsätzliche Fragen zu Arbeit und Entlohnung im Strafvollzu, in: Häußling, Josef M. / Reindl, Richard (Hrsg.), Sozialpädagogik und Strafrechtspflege; Gedächtnisschrift für Max Busch, 1995, S. 493 (509-510).
14 Flyer abrufbar unter:
https://www.mj.niedersachsen.de/download/8096/Flyer_Gefangenenarbeit_in_den_Justizvollzugsanstalten_PDF_ist_nicht_barrierefrei_.pdf, letzter Abruf 13.04.2022a.
15 Telefonieren im Gefängnis ist unverhältnismäßig teuer, LTO online v. 05.01.2015, abrufbar unter: https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/lg-stendal-beschluss-509-stvk-179-13-telefonieren-im-gefaengnis-zu-teuer/.
16 Johanna Treblin, Der Preis der Tütensuppe, nd-aktuell v. 20.10.2021, abrufbar unter: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1157889.einkauf-im-gefaengnis-der-preis-der-tuetensuppe.html.
17 Vgl. Katja Bauer, Berliner Gefangene zeigen auf Twitter, was sie zu essen bekommen, Stuttgarter Nachrichten v. 21.08.2109, abrufbar unter: https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.gefaengniscuisine-berliner-gefangene-zeigen-auf-twitter-was-sie-zu-essen-bekommen.991c12ae-6185-488d-a322-b88b8a21bd6c.html.
18 Siehe Twitteraccount „Gefängniscuisine“, abrufbar unter: https://twitter.com/gefngniscuisin1?lang=de, der Account ist seit Ende 2019 inaktiv.
19 Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel StVollzG Rn. 144; Wolfgang Schriever, Essen als Strafe? – Eigene Ernährung im Strafvollzug, NStZ 2005, 195 (197); Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetz. Bund und Länder. Kommentar-Nestler Kap. 6 B Rn. 2.
20 Vgl. § 5 Nr. 8 der Satzung der IG Metall, abrufbar unter:
21 Vgl. § 13 Satzung IG Bau, abrufbar unter: https://igbau.de/Binaries/Binary316/online-beihefter-berlinersatzung-2017-freigabe-2.pdf; § 18 Satzung ver.di, abrufbar unter: https://www.verdi.de/++file++5e18559be5d86dc42e06ebef/download/2019_Satzung_Stand%20September.pdf.
22 Klaus Laubenthal (Fn. 11), Rn 301.
23 Christine Graebsch, Gefangenenmitverantwortung – Interessenvertretung für Gefangene? Forum Strafvollzug, 2/2016, 22 (25).
24 Der Spiegel 30/1969, S. 51, abrufbar unter: http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/45549106; Karl F. Schumann, Das Interesse der Gewerkschaften am Strafvollzug: Einführende Überlegungen zu einem weithin verdrängten Problem, S. 7 (9), in: Klaus Lüderssen/ Karl F. Schumann/ Manfred Weiss, Gewerkschaften und Strafvollzug, 1978.
25 Vgl. dazu das Selbstverständnis der GG/BO abrufbar unter https://ggbo.de/wir-ueber-uns/.
26 So die Aussage des GG/BO-Sprechers Manuel Matzke in einer Anfrage der Verfasserin.
27 Karl F. Schumann (Fn. 23), S. 7.
28 Fragebogen „aktivierende Untersuchung“, in: Outbreak – Sprachrohr der Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO), Winter/Frühjahr 2014/2015, S. 30, abrufbar unter: https://ggbo.de/wp-content/uploads/2016/02/Outbreak2.pdf.
31 Vgl. LG Krefeld vom 30.11.2015- AZ 21 StVK 584/14; OLG Hamm, B. v. 2.6.2015 – III-1 Vollz (Ws) 180/15.
32 OLG Hamm, B. v. 2.6.2015 – III-1 Vollz (Ws) 180/15 – Ls. 3, Rn. 26.
33 KG Berlin, B. v. 29.6.2015 – 2 Ws 132/15 Vollz.
34 Siehe Fn. 3 und 4.
35 Siehe Fn. 26.
36 3 Jahre Gefangenengewerkschaft aus der Sicht eines kritischen Sympathisanten, in: Outbreak – Sprachrohr der Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO), Winter/Frühjahr 2017/2018. S. 38, abrufbar unter: https://ggbo.de/wp-content/uploads/2018/09/GG_BO_Outbreak3_WEB.pdf.
37 Vgl bspw. Florentin Schumacher, Gefangene in Butzbach beginnen Hungerstreik, Frankfurter Allgemeine Zeitung (faz) v. 2.12.2015, abrufbar unter: https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/gefangene-in-butzbach-beginnen-hungerstreik-13943552.html.
38 Judith Höllmann, Wenn Gefangene sich organisieren – Eine Analyse zum Handlungsvermögen der GG/BO, S. 37, abrufbar unter:
https://ggbo.de/wp-content/uploads/2016/08/BA-final-Druck_fu%cc%88r-GGBO-website.pdf.
39 Ebenda S. 38.
40 Ebenda.
41 Direkte Aktion/649: Fünf Jahre Gefangenen-Gewerkschaft – Eine ausführliche Bilanz, v. GG/BO-Soligruppe Jena, 25. Mai 2019, abrufbar unter: http://www.schattenblick.de/infopool/medien/altern/da-649.html.
42 Ebenda.