|
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) muß seine Rechtsprechung zur Anerkennung
von Bürgerkriegsflüchtlingen ändern. Das hat das Bundesverfassungsgericht
(BVerfG) ihm in seiner Entscheidung vom 10. August 2000 aufgegeben. Bis
dahin hatten afghanische Flüchtlinge, die vor den fundamentalistischen
Taliban geflohen waren, kaum Chancen, in Deutschland Asyl zu bekommen.
Die staatsähnlichen Machtbereiche, die sich in Afghanistan nach dem Abzug
der sowjetischen Besatzungstruppen und dem Sturz des kommunistischen Nadschibullah-Regimes
herausgebildet hätten, seien, so das BVerwG, nicht zu politischer Verfolgung
im Sinne des Asylrechts fähig. "Solange in einem andauernden Bürgerkrieg
die verfeindeten Machthaber um die Eroberung des ganzen Landes mit militärischen
Mitteln kämpfen und der Untergang eines jeden der bestehenden Herrschaftsbereichte
möglich erscheint, fehlt es an der für staatsähnliche Organisationen geforderten
Stabilität und Dauerhaftigkeit der Ausübung von Gebietsgewalt." Bürgerkriegsflüchtlinge
aus Afghanistan könnten daher in der Regel nicht als Asylberechtigte anerkannt
werden.
Nach Ansicht des BVerfG hat es jedoch damit die Anforderungen an das Vorliegen
politischer Verfolgung im Sinne von Art.16a I GG überspannt. "Maßgeblich
für die Bewertung einer Maßnahme als politische Verfolgung ist, daß der
Schutzsuchende einerseits in ein Herrrschaftsgefüge eingebunden ist, welches
den ihm Unterworfenen in der Regel Schutz gewährt, andererseits aber wegen
asylerheblicher Merkmale von diesem Schutz ausgenommen und durch gezielt
zugefügte Rechtsverletzungen aus der konkreten Gemeinschaft ausgeschlossen
wird, was ihn in eine ausweglose Lage bringt, aus der er sich nur durch
die Flucht entziehen kann." Die Frage, ob in einer Bürgerkriegssituation
nach dem Fortfall der bisherigen Staatsgewalt von einer Bürgerkriegspartei
politische Verfolgung ausgehen könne, beurteile sich vor allem danach,
ob diese zumindest in einem "Kernterritorium" ein solches Herrschaftsgefüge
tatsächlich errichtet habe. Unter Beachtung dieses Maßstabes wird nun
das BVerwG die Asylbegehren der afghanischen Beschwerdeführer überprüfen
müssen. Und nach Meinung des BVerfG stehen ihre Chancen dabei gar nicht
so schlecht.
Grund zum Feiern ist die Entscheidung des BVerfG allerdings nicht. Im
Gegenteil. Sie war längst überfällig. Die restriktive Linie, die das BVerwG
in Fällen nichtstaatlicher Verfolgung vertritt, ist einzigartig in der
Europäischen Union. amnesty international, Pro Asyl und eine Reihe anderer
Flüchtlingsberatungsstellen fordern daher schon seit langem, daß endlich
auch in der Bundesrepublik die Verfolgung durch nichtstaatliche Täter
als Fluchtgrund anerkannt wird.
Constanze Oehlrich, Berlin.
Quellen:
BVerfG NVwZ 2000, S. 1156.
BVerwG NVwZ 1998, S. 750.
amnesty international (Hrsg.), Memorandum zum Schutz der Flüchtlinge,
in: Asyl-Info 11/2000, S. 4.
|
|